Oder: Warum Üben so unglaublich individuell ist

Üben kann im Instrumentalunterricht und auch beim autodidaktischen Lernen sehr schnell zu einem kritischen Thema werden: Wie viel muss ich üben und warum, was übe ich und wie übe ich es, wie nutze ich meine Übezeit möglichst gut aus? All diese Fragen sind auch für Eltern von musizierenden Kindern von Bedeutung: Warum übt mein Kind so wenig und lohnt sich der Unterricht so überhaupt? Wie kann ich es motivierend unterstützen?

Bei der Beschäftigung mit verschiedenen Übemethoden lässt sich vor allem feststellen:

ES GIBT NICHT DIE EINE ÜBEMETHODE. LERNEN UND ÜBEN SIND INDIVIDUELL!

Viele Methoden des Übens sind abgeleitet aus Trainingsmethoden des Hochleistungssports (z.B. mentales Üben) oder aus Erkenntnissen der Lernpsychologie (z.B. Üben aus intrinsischer Motivation). Wer tiefer in das Thema Üben einsteigen will, sollte sich auch in diese Bereiche ein wenig einlesen und fleißig ausprobieren. Perfekt wäre es natürlich, wenn man nach einer eingehenden Beschäftigung mit dem Thema Üben sagen kann: Ja, ich habe meine Art zu üben gefunden, fühle mich wohl und bin erfolgreich damit.

Üben im Flow

„Flow“ ist ein Begriff, den ein Herr mit dem komplizierten Namen Csikzentmihaly geprägt hat. Er beschreibt das beglückende Gefühl, wenn man vollkommen konzentriert ist, vollkommen in einer Aufgabe aufgeht.1 Schritte zum Üben im Flow nach Andreas Burzik2 sind:

1. Der Kontakt zum Instrument: Sein Instrument in die Hand zu nehmen (soweit es geht), Temperatur und Beschaffenheit des Materials zu spüren, Berührungspunkte wahrzunehmen und die Vibrationen des Instruments zu spüren führt zu einer enger Verbundenheit mit dem Instrument.

2. Einen Klangsinn entwickeln: Wie soll meine Musik klingen, wenn sie perfekt ist? Wie stelle ich mir den Klang meines Tones vor, wie diese Phrase? Ein wichtiger Aspekt für jegliches Üben, weil nur so ein Fortschritt stattfinden kann. Nur, wenn ich weiß, wo ich hin will mit meinem Üben, werde ich nicht immer nur das spielen, wie ich es bereits spielen kann.

3. Gefühl der Anstrengungslosigkeit: Um eine beglückende Erfahrung im Flow zu machen, muss mir das, was ich tue, leicht fallen. Übungen und Stücke sollen zwar auch nicht unterfordern, aber ebenso wenig überfordern. Neben der Stückauswahl liegt der Schwierigkeitsgrad natürlich auch am Tempo und anderen Aspekten, die ich mir vornehme.

4. Spielerischer Umgang mit dem Übematerialien: Hier geht es um etwas ähnliches, wie bei der rotierenden Aufmerksamkeit: Wie oft spielt man einen Takt mit voller Konzentration? Und wie viel Spaß macht das? Die Challenge hier: Wie viele Varianten findest du, um einen Takt oder eine kurze Phrase zu spielen? Nur ein paar Tipps: Variiere Tempo, Rhythmus, Taktart, Artikulation, Fingersatz, Lautstärke, spiele rückwärts, erfinde eine Begleitung…

Mentales Üben

Mentales Üben ist das Üben ohne ein Instrument. Die Vorteile werden schnell klar: Die Hände/Atmung ermüdet nicht (Stichwort Sehnenscheiden, Husten, etc.), die Lautstärke stört die Nachbarn nicht, selbst im Zug üben ist möglich und es wird kein sperriges Instrument benötigt. Allerdings sollte mentales Üben immer im Wechseln mit aktivem Üben stattfinden.

Ebenso kann eine andere Art des mentalen Trainings auch bei Vorspielängsten angewandt werden. Dabei wird häufig eine positive Situation in Gedanken hervorgerufen, um die Gedanken an das Vorspiel, scheitern oder Publikum zu vertreiben.3

Berühmte Mental-Übende sind zum Beispiel Glenn Gould oder Arthur Rubinstein.4 Profis können sich mental auch ganze Stücke aneignen, ohne sie vorher gespielt zu haben. Dies braucht aber sehr viel Erfahrung.

Beim mentalen Üben gelangt man in eine Art „passiven Wachzustand“, der in etwa dem Gefühl kurz vor dem Einschlafen entspricht. Dabei sollte der Übende sich möglichst genau einprägen und dann im Kopf wiederholen:

1. Auditive Merkmale, wie Klangfarbe, Lautstärke, Artikulationsklänge

2.Visuelle Merkmale, wie Notenbild, Bild der Finger auf dem Instrument, typische Bewegungen des Lehrers

3. motorische Abläufe, wie Fingerbewegung, Atembewegung, Körperhaltung5

Rotierende Aufmerksamkeit

Der Cellist Gerhard Mantel entwickelte das Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit. Danach sind viele Wiederholungen nötig, um einen Abschnitt erübt zu haben. Damit diese Wiederholungen aber nicht ungenau werden, weil die Konzentration abschweift, wenn man oft hintereinander das Gleiche tut, soll die Aufmerksamkeit „rotieren“. Das bedeutet, sich auf verschiedene Aspekte nacheinander zu konzentrieren.

Man nimmt sich also einen kleinen Abschnitt von wenigen Takten vor, und spielt ihn viele Male hintereinander. Die ersten 5 Male (oder eine andere Zahl) konzentriert man sich auf die korrekte Dynamik, dann auf die Artikulation, den Fingersatz, etc. Die Konzentration auf einen Aspekt bedeutet aber nicht, alles andere komplett auszublenden. Die Dynamik bekommt nicht so viel Aufmerksamkeit, wenn man sich gerade um Artikulation kümmert. Deshalb ist sie aber noch lange nicht komplett unwichtig.6

Üben mit jüngeren Kindern

Kinder wollen von Natur aus lernen.7 Von dieser Voraussetzung sollte man ausgehen, wenn man Unterricht für Kinder gestaltet oder als Elternteil das Üben begleiten will. Allerdings erschwert man ihnen das Lernen, wenn man sie zwingen will, wie Erwachsene zu lernen.

Das Üben eines Instrumentes hingegen ist nichts, was im Kind veranlagt wäre. Der Übeprozess braucht viel Kraft und muss erst mühsam erlernt werden.8 Dazu ist eine konsequente Unterstützung von Lehrern und Eltern nötig. Dazu gehört auch die regelmäßige Erinnerung ans Üben. Wenn ein Kind nicht immer ans Üben denkt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass das Kind zu wenig Interesse hat, sondern, dass das ans Üben denken im wuseligen eine sehr schwere Aufgabe ist.

Im Instrumentalunterricht wird in der Regel der Fortschritt nur im Vergleich mit dem Schüler selbst gemessen.9 In der Schule hingegen geben Noten die Möglichkeit, sich mit anderen zu vergleichen. Für einige Schüler ist das motivierend, so dass in diesen Fällen Wettbewerbe (auch zum Beispiel im Gruppenunterricht klein(st)e Wettbewerbe bei bestimmten Hausaufgaben) einen Ansporn darstellen und Spaß machen. Das muss aber nicht immer so sein!

Bedürfnisaufschub, Frustrationstoleranz und Konzentration

Wichtig zu wissen ist auch, dass Üben einen Bedürfnisaufschub darstellt: Das Bedürfnis nach Erfolg und einem Glücksgefühl wird nicht sofort erfüllt.10 Für Kinder ist ein Bedürfnisaufschub schwerer auszuhalten, als für Erwachsene.11 Das zeigt sich zum Beispiel beim sogenannten „Hungersturm“ bei Babys. Wenn das Hungergefühl auftaucht, braucht das Baby sofort was zu essen und schreit. Ein Erwachsener kann gut und gerne ein paar Stunden Hunger aushalten ohne Probleme. Um dem Bedürfnis nach Erfolgserlebnissen gerecht zu werden, sollten kleine, schnell erfüllbare Aufgaben gestellt werden und entsprechend gelobt werden. Allerdings sollte nur gelobt werden, wenn wirklich ein Fortschritt gemacht wurde. Geheucheltes Loben wird von Kindern erkannt und führt zu Verwirrungen.

Ein weiterer Grund, kleine und erfüllbare Aufgaben zu stellen ist, dass Üben eine hohe Frustrationstoleranz benötigt, die bei kleinen Kindern noch sehr gering ist. Jedes „nicht schaffen“ kann in Weinen oder Schreien enden, weil es Kindern schwer fällt, dieses Gefühl auszuhalten. Auch wenn Kinder selbst eine starke Kritik an ihrem Instrumentalspiel üben, bedeutet dies Frustration. Eltern und Lehrer sollten deshalb angemessen kritisieren und dies dadurch mit dem Kind üben.

Zuletzt möchte ich auf die Konzentration eingehen. Oft ist zu beobachten, dass Kinder sich nicht lange auf ein Thema konzentrieren können. Ihre Konzentrationsspanne ist kurz. Eine schnell wechselnde Abfolge von Übungen, am besten auch mit Wechsel des Ortes oder des Übens mit und ohne Instrument kommt dem entgegen. Etwa alle zehn Minuten sollte spätestens ein Wechsel erfolgen. Andererseits kennt aber auch jeder den Effekt, wenn ein Kind völlig ins Spiel versunken ist. Dann können sie teilweise stundenlang sich auf eine Sache konzentrieren. Dies entspricht den Beobachtungen, die vor allem Maria Montessori publik gemacht hat. Hier haben sich die Kinder ihre Aufgabe selbst gewählt, sie wurde nicht von einem Erwachsenen vorgegeben. Dementsprechend sind sie aus sich selbst heraus motiviert (intrinsische Motivation) und die Konzentration zu halten, fällt ihnen nicht schwer.12

Üben im Unterricht fördern

Da der Unterricht in der Regel nur einmal in der Woche stattfindet, bewerkstelligt der Schüler den größten Teil des Instrument Lernens zu Hause. Der Unterricht muss dies bestmöglich vorbereiten und begleiten. Das bedeutet zum einen, das Üben im Unterricht zu üben und zu motivieren.13

Dazu müssen möglichst klare, aber auch erfüllbare Aufgaben gestellt werden, die innerhalb einer Woche gut zu erledigen sind.14 Auch weiter gedachte Ziele wie Vorspiele, langfristige Übepläne oder gar Wettbewerbe können die Motivation fördern.

Übepläne können sehr verschieden gestaltet sein: Sie können sehr genau vorausplanen, aber auch viele Freiheiten lassen. Sie können ein Pensum vorgeben, bei dem es dem Schüler freigestellt ist, wann er dieses erfüllt. Sie können aber auch dokumentarischen Charakter haben, wie zum Beispiel ein Übetagebuch. Allerdings sollte die Lehrkraft das nicht ausnutzen, um den Schüler in jeder Stunde anzuklagen, wie wenig er geübt hat, sondern das Vertrauen würdigen, dass der Schüler einem mit solcher Dokumentation entgegenbringt, ansonsten werden sich im Übetagebuch sehr bald nur noch geschönte Angaben finden.

Für Schüler/innen im Grundschulalter habe ich den folgenden Übeplan entworfen, den ihr gerne kostenlos nutzen dürft: Gemeinsam mit dem Schüler oder der Schülerin wird der Satz oben gelesen und ein Übepensum eingetragen. Dabei spielt eine Rolle, wie viel das Kind bereits übt, wie alt es ist und wie viele sonstige Verpflichtungen es hat. Der Satz ist absichtlich in der „Ich-Form“ geschrieben, da er eine Selbstverpflichtung darstellt und keine Verpflichtung durch die Lehrkraft. Die Verpflichtung gilt für vier Wochen. Danach wird ein neuer Plan ausgedruckt und erneut verhandelt, ob mehr geübt werden muss oder das Übepensum zu groß war.

Auch wie man übt, muss gelernt werden. Sollen Schüler zu Hause nicht immer nur ihre Stücke von vorne durchspielen, so muss man ihnen Methoden an die Hand geben. Zudem muss der Schüler lernen, selbstkritisch mit seiner Musik umzugehen und ein Klangideal zu entwickeln und zu verfolgen. Das ist kaum möglich, wenn der Lehrer ständig vorgibt, was korrigiert werden muss. Vielmehr sollte er dem Schüler beibringen, sich selbst zu korrigieren, damit dieser dies auch zu Hause nutzen kann.15

Üben und die erste Liebe

Was mir persönlich noch ein wichtiges Thema ist: Die meisten Instrumentalschüler betreiben die Musik als Hobby. Sie nimmt nicht den größten Teil ihrer Zeit ein und das ist auch gut so. Regelmäßiges Üben sollte Grundvoraussetzung für den Unterricht sein. Wenn allerdings viele Klassenarbeiten anstehen, die erste große Liebe sich entwickelt, die Eltern sich trennen oder Opa gestorben ist, steht Üben erst mal im Hintergrund und das kann auch mehrere Wochen andauern, selbst bei Jugendlichen, die ein Musikstudium anstreben oder bei Jugend musiziert aufgetreten sind. Ich persönlich bin der Meinung, dass Musik nicht das Leben beherrschen sollte und in solchen Fällen kein Druck aufgebaut werden sollte.

Tipps für Eltern

Viele Eltern wollen gerne beim Üben ihr Kind begleiten und fördern. Zusätzlich zum Abschnitt „Üben mit jüngeren Kindern“ hier noch ein paar Tipps16:

Eltern müssen nicht selbst ein Instrument spielen oder Noten lesen können, um ihr Kind zu unterstützen. Das ist Aufgabe des Lehrers. Aufgabe der Eltern kann es sein, den Raum fürs Üben zu schaffen. Sie sollten ab und an beim Üben zuhören und sich vielleicht ein kleines Konzert spielen lassen. Auch wenn Verwandte da sind, bietet sich ein kleines Vorspiel an. Das sollte das Kind aber voher wissen (!), um nicht unvorbereitet und mit Angst auf der Bühne zu stehen. Außerdem sollte das Kind zu seinen Zuschauern genug Vertrauen haben. Dabei darf gerne gelobt werden, wenn es dem Publikum gefallen hat. Für Korrekturen ist die Lehrkraft zuständig und es fördert die Verbindung zwischen Kind und Elternteil nicht unbedingt, wenn das Elternteil eine Art zweiter Lehrer ist und im schlimmsten Fall noch anderer Meinung als der Lehrer.

Hürden vor dem Üben abbauen

Kinder denken nicht von alleine ans Üben. Das ist nicht unbedingt ein Zeichen des Desinteresses, sondern, dass im wuseligen Alltag bei Kindern so einiges verloren geht. Eltern sollen daher gerne erinnern, allerdings mit möglichst positiven Formulierungen. Wenn schon Erwachsene über das üben sprechen, als wenn es etwas ist, dass man nicht will aber muss, warum sollte man es dann freiwillig tun? Also lieber fragen: „Wann willst du denn heute üben?“ als „Du musst aber noch üben!“ oder „Willst du heute noch üben?“. Die Antwort auf die letztere Frage wird nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit „Nein“ sein.

Empfohlen wird auch, Instrument und Noten gut erreichbar und sichtbar zu platzieren. Allerdings sollte dabei beachtet werden, dass zum Beispiel eine Oboe, die aufgebaut im Kinderzimmer steht, einer großen Gefahr ausgesetzt ist, umzukippen und teure Schäden davon zu tragen. Holzblasintrumente sollten zudem nach jedem Spielen geputzt werden, die Bögen von Streichinstrumenten sollten abgespannt werden, usw. Deshalb sollte instrumentenspezifisch der Lehrer zu dem Thema befragt werden.

Bei jüngeren Kindern ist oft das Problem, dass sie ihre Hausaufgaben vergessen und dann zu Hause nicht mehr rekonstruieren können, was sie üben sollen. Dazu kann es hilfreich sein ein kleines Aufgabenheftchen zu führen (bei Kindern, die noch nicht flüssig lesen in sauberer Druckschrift und ggf mit ergänzenden Symbolen und Skizzen). Außerdem kann das begleitende Elternteil am Ende der Stunde mit bei der Aufgabenstellung dabei sein und sich zB die richtige Haltung des Instruments mit angucken, um zu Hause erinnernd zur Seite zu stehen.

Oberkapitel: Pädagogik/Musikpädagogik

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1https://de.wikipedia.org/wiki/Flow_%28Psychologie%29 [17.10.17]

2Burzik, Andreas: Die vier Prinzipien des Übens im Flow; www.flowskills.com/methode.html [17.10.17]

3Www.gitarreimalstertal.de/FreieDownloadangebote/menttorbost.PDF [17.10.17]

4Www.melanie-haeckel.de/ueber-mich/mentales-ueben [17.10.17]

5Www.gitarrenlinks.de/workshops/mentales_training.htm [17.10.17]

6Vgl.: Mantel, Gerhard: Einfach Üben, Mainz 2001

7Ernst, Anselm: Didaktik des Übens, in: Mahlert, Ulrich (Hrsg.): Handbuch Üben, Wiesbaden, 2007, S.98ff

8Www.musikschule-seesen.de/ueben.html [22.10.17]

9Ernst, Anselm: Didaktik des Übens, in: Mahlert, Ulrich (Hrsg.): Handbuch Üben, Wiesbaden, 2007, S.98ff

10Dartsch. Michael: Üben im Vorschul- und Grundschulalter, in: Mahlert, Ulrich (Hrsg.): Handbuch Üben, Wiesbaden, 2007, S.205ff

11Ebd.

12Ebd.

13Ernst, Anselm: Didaktik des Übens, in: Mahlert, Ulrich (Hrsg.): Handbuch Üben, Wiesbaden, 2007, S.98ff

14Ernst, Anselm: Didaktik des Übens, in: Mahlert, Ulrich (Hrsg.): Handbuch Üben, Wiesbaden, 2007, S.98ff

15Ernst, Anselm: Didaktik des Übens, in: Mahlert, Ulrich (Hrsg.): Handbuch Üben, Wiesbaden, 2007, S.98ff

16www.musikschule-seesen.de/ueben.html [22.10.17]