Wie wir Kreativität fördern können

Kreativität ist angeboren. Ich bin unkreativ. Ich habe nie gute Ideen… Wie oft höre ich solche Sätze und wie sehr nerven sie mich. Denn Kreativität fördern und fordern – das ist gar nicht so schwer. Jeder von uns beherrscht die sogenannte Alltagskreativität und findet spannende und außergewöhnliche Lösungen. Oft erkennen wir die Problemlösungen, die wir täglich schaffen aber gar nicht als kreativ an. Und jeder von uns war als Kind unglaublich kreativ, hat gemalt, Geschichten erzählt, stundenlang in sich Versunken gespielt. Ähnlich wie die Musikalität ist auch die Kreativität in Menschen jeden Alters angelegt. Durch die richtige Umgebung und fördernde Faktoren kann sie zum Vorschein gebracht werden.

Kreativität (vom lateinischen creare = schaffen, gebären, erzeugen)1 hat vielfältige Definitionen. Kreatives Handeln führt demnach zu neuen oder originellen, bedeutungsvollen oder nützlichen Ergebnissen.2 Dabei wird der Begriff Kreativität in dem weiten Feld von selbsttätigem Spiel eines Kleinkindes bis hin zum Schaffen großer künstlerischer Werke verwandt.3 Und irgendwo in dieser weiten Spanne findet sich auch Deine Kreativität.

Kreativität fördernde und hemmende Faktoren

Kreativität lässt sich fördern und üben. Oft hilft es aber schon, wenn hemmende Faktoren ausgeschaltet werden. Die folgende Tabelle soll einen Überblick geben, wo Chancen liegen. Wenn Du nach Hilfe für eine bestimmte Person oder Situation suchst, kannst du gerne die Tabelle nehmen und durchgehen. So lässt sich gut analysieren, an welchen Punkten sich euer Lern- und Kreativumfeld noch verbessern lässt.

fördernd

hemmend

Kennen von Material/Fachgebiet

Starke Orientierung an Werten und Normen

Zusammenkommen mehrerer Menschen

Druck durch Gesellschaft/Lehrperson/etc.

Inspiration durch neue, eindrückliche Erlebnisse

Bürokratie

Kreativitätstechniken, Fähigkeit zum kreativen Handeln (erlernbar)

„Verordnen“ kreativer Leistungen

Herausfordernde Regeln/Aufgaben/Erfahrungen (z.B. Einschränkung der Möglichkeiten)

Beobachtet/bewertet werden

Klar definiertes Ziel, welches trotzdem nicht starr ist

Fehlendes Selbstbewusstsein, Überzeugung, nicht kreativ zu sein

Positives Innovationsklima

Starre Fixierung auf einen Lösungsweg

Zeit zur Entwicklung von Lösungen

Schwache soziale Bindungen und wenig Vertrauen innerhalb der kreativen Gruppe

Entscheidungsfreiheit

„gemeinsames Denken“ und direkter Austausch führt zu Vergessen eigener Ideen, wenn jemand anderes spricht

Selbstvertrauen in kreative Fähigkeiten

 

Entspannt sein

 

Spielerisches Arbeiten

 

Hohen Anspruch an das kreative Produkt

 

Selbstdisziplin ohne übermäßigen Perfektionismus

 

Unerwartete Bestätigungen/Bekräftigungen

 

Intrinsische Motivation*

 

Divergentes Denken**

 

Bewertungsfreies Zulassen aller Ideen

 

*intrinsische Motivation ist die innere Motivation, etwas zu tun. Extrinsische Motivation ist Motivation von außen, beispielsweise durch Geld, Belohnung, Anerkennung. Eine ursprünglich extrinsische Motivation kann intrinsisch werden, wenn der Handelnde Interesse findet, an dem, was er tun soll oder die Aufgabe umwandelt zu etwas für ihn Interessantem.

**divergentes Denken, ist die Fähigkeit, ungewöhnliche, aber angemessene Antworten auf Standardfragen zu finden. Konvergentes Denken hingegen bringt Informationen und Wissen zusammen, um auf die richtige Lösung für ein bestimmtes Problem zu kommen.

Kreativität fördern im Musikunterricht

Die Bedingungen für Kreativität sind im Musikunterricht nicht ideal. Viele der hemmenden Faktoren treten hier unweigerlich auf. Die Schüler werden beobachtet, im schulischen Kontext teilweise sogar bewertet. Die Aufgabenstellung, die es zu lösen gilt, ist in der Regel durch die Lehrkraft gegeben (extrinsisch motiviert) und muss innerhalb einer bestimmten Zeit gelöst werden. Soll mit Klang gearbeitet werden, so gibt es zwei Varianten: Zum einen kann in getrennten Räumen gearbeitet werden, um sich gegenseitig nicht zu stören (oft organisatorisch nicht möglich), zum anderen kann die Arbeit als Zusammenarbeit der Gruppe geplant sein. In der gesamten Klasse werden aber Ideen des Einzelnen verloren gehen. In Gruppen, die sich nur wenig kennen (z.B. auf Workshops), kann die Orientierung an gesellschaftlichen Normen einschränkend wirken.

Der Kreativität freien Lauf lassen – Schafft der Musikunterricht gute Bedingungen dafür?

Die Chancen des Musikunterrichts

Ein gut ausgestatteter Musikraum, in dem sich viele Musizierende befinden, bietet vielfältige Chancen. Die Schüler können hier Erfahrungen machen, die ihnen zu Hause nicht möglich sind. Auch das Ende der Unterrichtsstunde ist übrigens eine Chance für Kreativität: Der Schüler hat im Unterricht Erfahrungen gemacht und Wissen gesammelt. Zu Hause ist er nun entspannt, das Gehirn kann verknüpfen und neue Ideen entwickeln, die zu Hause oder in der nächsten Musikstunde umgesetzt werden können.

Nutze als Lehrkraft die Chancen, Kreativität zu fördern und schalte so viele kreativitätshemmende Faktoren wie möglich aus. An vielen Lernorten gibt es die Möglichkeit, die Umweltbedingungen, die die Schüler erleben mitzugestalten durch Deine Raum- und Unterrichtsgestaltung. Wer vielfältige Methoden kennt, um Kreativität zu fördern, gestaltet den Unterricht mit Offenheit zum selbstständigen Lernen und Entwickeln. Ein Beispiel sind Spielregeln zur Improvisation oder Kreativitätstechniken (Der Artikel „Kreativitätstechniken“ bei Wikipedia4 führt eine Übersicht auf.) Es geht dabei auch darum, herausfordernde Aufgaben und Regeln zu schaffen, die das kreativ sein spannend machen. Grundsätzlich kann es sich dabei um eine freie Suche (z.B. Improvisation) oder eine feste Aufgabenstellung mit Ziel handeln.5

Kreativ sein in jedem Alter?

Es gibt kein perfektes Alter für Kreative. Allerdings gibt es zwei altersspezifische Auffälligkeiten in Sachen kreativer Produktivität:

1) Mit Schuleintritt (manche Autoren sagen auch erst ab dem neunten Lebensjahr) nimmt das freie, kreative Singen von Kindern ab. Sie fordern nun, Lieder zu lernen, die Erwachsene ihnen vorsingen.6 Reinhard Andreas deutet dies so, dass das schulische, logische Denken das freie, kreative Denken einschränke.7 Heiner Gembris sieht dies hingegen positiv: Die Kinder beschäftigten sich in diesem Alter mit dem Kulturschatz, den Lieder bieten, sammelten also Wissen, das später wieder Grundlage für Kreativität sei.8

2) kreative Persönlichkeiten beginnen mit etwa 17 Jahren, produktiv zu arbeiten und erreichen mit durchschnittlich 47 Jahren den Höhepunkt ihres Schaffens.9 Wer als junger Mensch bereits kreativ tätig ist, bleibt dies allerdings (soweit es ihm gesundheitlich möglich ist) in der Regel auch bis ins hohe Alter.10 Und auch ältere Menschen sollten sich deshalb auf keinen Fall scheuen, ein kreatives Schaffen zu beginnen.

Kreativitätsforschung im Internet

Die Kreativitätsforschung ist ein viel zu weites Feld, um sie hier abhandeln zu können. Ich empfehle sehr, da tiefer einzusteigen.

Verschiedene Techniken und viele Hintergrundinformationen zur Kreativität finden sich im Blog Kreativitätstechniken.info von Marin Zec.

https://kreativitätstechniken.info/ [16.02.2019]

4 Phasen des kreativen Prozesses nach Graham Wallas (1926) sind nachzulesen bei Wikipedia und ermutigen, auf die eigene Kreativität zu vertrauen: Unser Gehirn regelt das von ganz alleine und irgendwann kommt der Aha-Effekt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Phasen_des_kreativen_Prozesses#Vier-Phasen-Modell [15.02.2019]

Der Vortrag von Sascha Friesike beim 60. Science Slam in Berlin betrachtete einige interessante Aspekte der Kreativität, hier einmal nicht musikalisch gedacht, sondern als direktes „Problemlösen“ und ist als Video sehr unterhaltsam.

→ Friesike, Sascha: Wie funktioniert Kreativität? – Vortrag beim 60. Science Slam Berlin, 4.12.2017, https://www.youtube.com/watch?v=UkbwiJmbSVk [15.02.2019]

Warum sollte ich kreativ sein?

Zu aller erst: Weil Kreativität Spaß macht. Das Gefühl, eine tolle Idee zu haben, ist wie ein Rausch. Daran weiter zu basteln und etwas zu entwickeln, was andere begeistert, macht einen selbst glücklich. Freiheit zu nutzen, Regeln zu brechen, Neues zu erfinden, etwas Besonderes zu schaffen sind Wünsche, die wohl in den meisten Menschen schlummern.

Kreativität bedeutet außerdem, sich und die Gesellschaft weiterzuentwickeln. Es ist die Verknüpfung bekannter Dinge zu neuen Lösungen für relevante Probleme. Neue Erfindungen wie auch neue Kunstwerke können einen Mehrwert für alle darstellen. Ich will diesen Artikel nicht mit einem euphorisierten Bekennen zur Kreativität abschließen, sondern mit einer recht nüchternen Analyse von Harm Willms:

„Der Künstler fungiert als ein „Apparat“ der Gesellschaft für Klärungs-, Strukturierungs-, Verarbeitungs- und Verständigungsprozesse. Ungeklärte Entwicklungstendenzen der Gesellschaft nimmt der Künstler […] in sich auf, klärt sie, verarbeitet sie und stellt sie für die Gesellschaft wahrnehmbar in einer Ausdrucksformung dar […].“11

Oberkapitel: Pädagogik/Musikpädagogik

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1https://kreativitätstechniken.info/was-ist-kreativitaet/definitionen-von-kreativitaet/ [15.02.2019]

2Vgl. Reinhard, A.: Kreativität. In: Bruhn, H.; Oerter, R.; Rösing, H. (Hrsg.): Musikpsychologie – Ein Handbuch, Reinbek, 1994, S.520

3Ebd. S.521

4https://de.wikipedia.org/wiki/Kreativit%C3%A4tstechniken [15.02.2019]

5Reinhard, A.: Kreativität. In: Bruhn, H.; Oerter, R.; Rösing, H. (Hrsg.): Musikpsychologie – Ein Handbuch, Reinbek, 1994, S.527

6Gembris, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, Augsburg, 2013, S.323f

7Reinhard, A.: Kreativität. In: Bruhn, H.; Oerter, R.; Rösing, H. (Hrsg.): Musikpsychologie – Ein Handbuch, Reinbek, 1994, S.524

8Gembris, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, Augsburg, 2013, S.323f

9Forschung von Dorland (1907/1908), vgl. Gembris, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, Augsburg, 2013, S.375

10Vgl. Gembris, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, Augsburg, 2013, S.376

11Willms, H.: Regression in der Musiktherapie. In: Bruhn, H.; Oerter, R.; Rösing, H. (Hrsg.): Musikpsychologie – Ein Handbuch, Reinbek, 1994, S.433