Die Texte dieses Kapitels sind aus einer mündlichen Prüfung zum Thema Spiel entstanden.

Ich beziehe mich hauptsächlich auf das Buch „Die Wirklichkeit des Elementaren Musizierens“ von Ruth Schneidewind, auf den Improvisationskünstler Matthias Schwabe und auf die erste Ausgabe der Zeitschrift „Üben und Musizieren“ von 2008, deren Thema „Spiel“ war, und in der sehr unterschiedliche Artikel, unter anderem von Gerhard Mantel, Ulrich Mahlert und Johannes Klier.

Ganz genau sind dies:

Danuser-Zogg, Elisabeth: Musik und Bewegung – Struktur und Dynamik der Unterrichtsgestaltung; Sankt Augustin 2002, S.160ff

Klier, Johannes: Der Ernst im Spiel, in: Üben und Musizieren, 01/2008, S.6-10

Mahlert, Ulrich: Spiel; in: Üben und Musizieren, 01/2008, S.1

Mantel, Gerhard: Ich spiele Cello; in: Üben und Musizieren, 01/2008, S.18-22

Schneidewind, Ruth: Die Wirklichkeit des Elementaren Musizierens; Wiesbaden 2011, insbesondere S.97 und S.152

Schwabe, Matthias: Musik spielend erfinden – Improvisieren in der Gruppe für Anfänger und Fortgeschrittene; Kassel 1992

Schwabe Matthias: Intensiv, ernsthaft, hingegeben, lustvoll, in: Üben und Musizieren, 01/2008, S.12-16

Definition von Spiel

Spiel zu definieren ist nicht leicht, da es sich wahrscheinlich im Wesentlichen durch die Wahrnehmung der Spielenden definiert. Dies zeigt sich zum Beispiel, wenn Kinder toben und eine Person (oder eines der Kinder) einschreiten muss, sagen muss: „Stopp, das ist kein Spiel mehr.“, weil es gefährlich wird.

Die Definition von Spiel entnehme ich im wesentlichen dem Buch „Die Wirklichkeit des elementaren Musizierens“ von Ruth Schneidewind. Schneidewind wiederum bezieht sich auf den Erziehungswissenschaftler Hans Scheuerl.1

Dieser stellt als Merkmale des Spiels die folgenden sechs Punkte heraus:

1) innere Unendlichkeit: möglichst lange spielen wollen, immer noch einmal spielen wollen

2) Scheinhaftigkeit: Spiel bildet eine zweite Welt, die nicht in die Realität eingreift

3) Geschlossenheit: Spiel braucht einen abgeschlossenen räumlichen und zeitlichen Rahmen2, in dem es stattfindet

4) Freiheit von Absichten: Für den Spieler gibt es nichts als das Spiel, es soll nicht auf etwas anderes einwirken (das bedeutet nicht, dass nicht der Spieleentwickler Absichten hat (siehe pädagogische Spiele))

5) Ambivalenz der Spannung: maßvolle Spannung, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.

6) Gegenwärtigkeit: Spiel passiert erst im Moment des Spielens, ein ungespieltes Spiel ist keines.

All diese Punkte kann man sicherlich noch näher betrachten, ich möchte mich allerdings hier einmal besonders auf die Freiheit von Absichten beziehen, da sie die Frage stellt, warum wir als Musiklehrer (besonders in der elementaren Musikpädagogik (EMP)) eigentlich Musikspiele spielen. Wenn keine Absicht, wie z.B. Verbesserung des Sozialverhaltens dahintersteckt, warum spielen wir dann eigentlich? Was ist der Erfolg von Spiel und von Musik?

Ruth Schneidewind stellt fest, dass bei den verschiedenen Formen von Spiel der Erfolg unterschiedlich ist. Ein Wettkampfspiel beispielsweise ist erfolgreich abgeschlossen, wenn man gesiegt hat, ebenso ein Glücksspiel (wobei dazu auch sämtliche Gesellschaftsspiele zählen, die von einem Würfel, Kartenglück, etc abhängen). Nur Rollenspiele und Fiktionsspiele3 werden subjektiv beurteilt.4

Laut Gerhard Mantel sei auch bei Musik der Erfolg subjektiv. In seinem Artikel „Ich spiele Cello“, der 2008 in der Zeitschrift Üben und Musizieren erschienen ist, geht er darauf ein, dass jeder bei der Bewertung von Musik unterschiedliche Aspekte betrachtet. Wann Musik also schön oder gelungen ist, wann ein Musiker erfolgreich war, ist keine objektive Entscheidung, gerade deshalb können die Urteile von Jurys bei musikalischen Wettbewerben ja so unterschiedlich ausfallen.

Zwischen Spielregel und Spielraum

Ich halte für die EMP den Spannungsraum zwischen Regel und Spielraum für sehr bedeutend, den auch Gerhard Mantel benennt. Mantel sagt, ein Musiker, der nur nach Regeln, also nach dem Notentext spiele, klinge nicht anders als ein gutes Notensatzprogramm, ein Musizieren ohne Regeln ende hingegen im Chaos. Zwischen Spielregeln und Spielraum allerdings könne Musik entstehen.

Während Mantel als Cellist im wesentlichen den Notentext als Spielregel betrachtet, hat der Improvisationskünstler Matthias Schwabe5 Spielregeln für Improvisationen veröffentlicht. Dabei gibt es eben wesentlich weniger Regel und mehr Spielraum und das Improvisieren erinnert noch eher an Spiel.

Um also in der EMP ein Spiel zu initiieren, ist es meiner Meinung nach wichtig und auch besonders schwer, die Spannung zwischen Regel und Spielraum gruppengerecht aufzubauen.

Wie schon gesagt, gibt es ganz ohne Regeln Chaos, nur mit Regeln entsteht allerdings auch keine Musik. Wie viele Regeln es aber braucht, das ist auch von Altersgruppe zu Altersgruppe unterschiedlich und auch von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich.

Laut Elisabeth Danuser-Zogg können Musikspiele für kleinere Kinder mit wenig Regeln auskommen, da die Kinder Raum für Kreativität brauchen, Gerhard Mantel hingegen ist der Meinung, Kinder verlören bei zu schwachen Regeln das Interesse am Spiel.

Interessant zu betrachten sind allerdings auch Kinderspiele, die ohne von Erwachsenen initiierten Regeln funktionieren. Da ich dazu allerdings außer dem Vorwort in besagter Üben und Musizieren von Ulrich Mahlert, keine Literatur hatte, kann ich nur aus eigenen Beobachtungen und Vermutungen sprechen. In Rollen- und Fiktionsspielen, wie zum Beispiel dem Kaufmannsladen, können Kinder aufgehen und sich selbst vergessen und sie spielen diese Spiele selbstständig (teilweise ja sogar alleine). Die Regeln des Kaufmannsladens (z.B. ich darf mir die Sachen nicht einfach wegnehmen, sondern muss sie bezahlen) werden oft auch ohne die Überwachung eines Erwachsenen eingehalten. In Fantasiewelten, wie zum Beispiel bei einem Kampf Ritter gegen Drache fällt das schon schwerer. Sobald eine der Spielparteien versucht, die Regeln zu übergehen (z.B. durch das Erfinden von Superkräften2) funktioniert das Spiel nicht mehr. Deshalb werden auch dort meist Regeln genutzt, so dass es z.B. nur die Möglichkeiten gibt, die entsprechende Helden auch in Büchern haben. Das bedeutet, das Regeln, die einmal bekannt sind, von Kindern auch selbstständig eingehalten werden, um das Spiel interessanter zu machen. Dabei stammt diese Regel aus der realen Welt und wird freiwillig in die Spielwelt übernommen, obwohl man mit einem Kaufmannsladen ja auch andere Spiele, wie zum Beispiel Holzobstweitwurf spielen könnte.

Bei der Arbeit mit Erwachsenen, die von vorneherein schon wesentlich mehr Regeln kennen (Benehmensregeln, Sprechregeln, etc.) und sich oft an diese Regeln klammern, wenn sie in unsichere Situationen geraten (z.B. in eine Musiziergruppe) muss dann evtl ein Schwerpunkt auf die Spielräume gelegt werden, damit eine Improvisation mehr Möglichkeiten erfährt. Wobei es auch da leichter sein kann mit stärkeren Regeln zu beginnen, um Ängste und Unsicherheiten zu beruhigen.

Je nachdem, aus welcher Altersgruppe eine Musikgruppe also besteht und wie groß die bereits vorhandenen Verhaltensregeln sind und wie groß das Verlangen nach gesetzten Regeln ist, muss also die Gruppenleitung versuchen, Regeln zu setzen, die zu einem zufriedenstellenden Musiziererlebnis führen, welches die Teilnehmenden subjektiv als erfolgreich betrachten.

Spiel und Arbeit

Manchmal scheint es, als sei Spiel das Wort der Kinder und Arbeit das der Erwachsenen. Kinderspiel erscheint im Gegensatz zur Arbeit, die die Familie ernährt, minderwertig. Aber auch Erwachsene spielen. Schwabe bezeichnet das Spiel von Erwachsenen als „Alltagsflucht“. Im Gegensatz zur anstrengenden und wichtigen Arbeit wird im Spiel Zerstreuung gesucht, vielleicht auch Sorglosigkeit.

Allerdings möchte ich noch einmal auf die Definition von Spiel zurück kommen, um einen zweiten Punkt näher zu betrachten und zwar die Scheinhaftigkeit. Das bedeutet, dass sich im Spiel eine zweite Welt aufbaut, die nicht in die Realität eingreift. Allerdings ist Spiel ernst gemeint. Im Moment des Spielens wird es real und zu einer ernsten Sache. Es wird zur Realität. Aus der Ernsthaftigkeit, mit der Kinder spielen entsteht eine Verbindung zur Arbeit. Kinder nehmen ihre Spiele genauso ernst, wie Erwachsene ihre Arbeit. Das kann man bei jüngeren Kindern zum Beispiel beobachten, wenn sie von Spielen mit Freunden berichten. Sie gehen dann nicht davon aus, dass sie gespielt haben, sondern erzählen teilweise, als sei das wirklich passiert.

Das Spiel wird auch mit der gleichen Konzentration und Disziplin vorangetrieben, wie ein Erwachsener arbeitet, mit der gleichen Konzentration und Disziplin, die auch zum Musizieren nötig ist. Mit der gleichen Konzentration und Disziplin die laut Gerhard Mantel dafür verantwortlich ist, dass beim Nachfolgenden Erfolg, zum Beispiel einem Vorspiel, die Ausschüttung von Dopamin, welches Glücksgefühle und Freude hervorruft, umso größer wird.

Zusammenfassung

Zusammenfassend muss ich sagen, dass ich gerade die Merkmale von Spiel sehr interessant finde für die EMP, da sie sowohl zusammen genutzt werden können, um Spiel zu definieren, als auch einzelne Aspekte genutzt werden können, um spielerischen Unterricht zu gestalten. Allein schon das Wissen, dass Spiel sowohl Regeln als auch Spielraum benötigt und Musikpädagoge die Aufgabe hat, diese Regeln und Spielräume zu schaffen, um Spiel zu ermöglichen, dass Spiel in einem abgeschlossenen räumlichen und zeitlichen Rahmen stattfinden muss, kann für das Überdenken von Planungen für Musikstunden sehr viel bewirken, zumindest bei Anfängern wie mir.

Auch die Frage, warum wir Musik machen, lässt sich hiermit beantworten: Es ist im Menschen veranlagt, zu spielen, und zwar ohne Zweck zu spielen. Nebeneffekte wie Lernen, Handeln üben und co, sind aus biologischer Sicht zwar ein Zweck, müssen aus Sicht des Spielenden Nebeneffekte bleiben. Und genau so muss der Musizierende das Musizieren sehen. Wenn das Musizieren als Arbeit empfunden wird, also kein Spiel mehr ist, kann man vielleicht sogar mit Hilfe der Merkmale von Spiel am Musizierprozess schrauben, so dass es wieder Spiel wird.

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1Hans Scheuerl (1919-2004) war Professor der Erziehungswissenschaften in Hamburg, Osnabrück, Erlangen und Frankfurt (Main) und hat sich stark mit dem Thema „Spiel“ auseinandergesetzt. (https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Scheuerl; Stand: 15.01.17)

2Siehe auch Klier

3Rollenspiel und Fiktionsspiel haben in ihren Definitionen große Überschneidungsbereiche. Bei einem Fiktionsspiel wird eine fitkive Situation gespielt, bei einem Rollenspiel übernehmen die Spieler Rollen. Beides trifft z.B. auf Kinderspiele wie Kaufmannsladen oder Vater, Mutter, Kind zu.

4Neben den genannten Spielen gibt es noch Funkttionsspiel und Konstruktionsspiel, die sich meiner Meinung nach allerdings dadurch auszeichnen, dass sie keinen Erfolg haben sondern immer weiter geführt werden können.

5http://www.matthiasschwabe.com/ (Stand: 15.01.17), Schüler von Lilli Friedemann

6Ein typischer Fall ist auch das Erfinden von immer neuen Figuren mit immer mehr Gewinnchancen bei „Schere, Stein, Papier“

Bildquelle: eigene