Ich möchte einmal schreiben über einen Begriff, der in meinem musikalischen Leben und Lernen immer wichtiger geworden ist: Der Begriff der „Werkstatt“.

Die Werkstatt ist für mich kein fester Raum, sondern eher mein Prinzip des Lernens und Arbeitens. Mit dem in der Musik üblichen Begriff des „Übens“ habe ich so meine persönlichen Probleme. Natürlich ist er in sich völlig korrekt und ich gebrauche ihn auch weiterhin. Aber wenn ich „üben“ soll – am besten mehr, konzentrierter und effektiver – baut sich bei mir persönlich Druck auf. „Üben“ fühlt sich für mich an, als müsste ich immer nur einem Ideal hinterher rennen. Als müsste ich etwas erreichen, was vorgegeben ist. Als hätte ich keinen Raum für mich, meinen eigenen Willen und meine Kreativität. Das mögen vielleicht eine Menge anderer Leute anders sehen, die mit dem Begriff an sich überhaupt keine Probleme haben, aber für mich hat sich das mit der Zeit so entwickelt.

Meine Werkstatt – mein Material

Daher der Begriff der „Werkstatt“. In meiner Werkstatt liegen alle Materialien bereit. Sie sind so sortiert, dass ich jederzeit finde, was ich brauche. Meine Werkstatt ist mein persönliches Refugium, wo ich sowohl vorgegebene Aufträge als auch eigene Projekte verwirklichen kann. Jedermanns Werkstatt wird anders aussehen, und das ist auch richtig so. Zu meiner Werkstatt gehört:

  • Arbeitsecke mit Schreibtisch, Fachbüchern, Ordnern mit eigenem Material, Noten, Bastelmaterial, große Pinnwand, Ablagesystem, Laptop=Zugang zu Internet und eigenes Material als Dateien
  • meine Instrumente und Zubehör, sortiert in einem offenen Regal und schnell greifbar
  • Kamera und Aufnahmegerät, Handy für Schnellaufnahmen
  • Handy und kleines Notizbuch für Notizen und spontane Ideen

weiterer Teil meiner Werkstatt ist der Zugang zu externen Ressourcen:

  • Theateraufführungen/Konzerte (die Terminübersichten verschiedener Institutionen hängen an meiner Pinnwand)
  • Zugang zu mehreren Bibliotheken
  • Zugang zur Hochschule (mein großer Vorteil als Studentin) und den Instrumenten und Räumen dort
  • Workshops und Fortbildungen (aktuelle Angebote verschiedener Anbieter gucke ich regelmäßig durch, ob mir was gefällt)

All das sind Materialien, aus denen sich mein musikalisches Arbeiten ergibt. Ich laufe eigentlich immer mit offenen Augen durch die Welt und sammel neues Material: Ideen für Projekte, Kontakte zu interessanten Personen, Hinweise auf andere Musikschaffende und ihre Projekte. Das alles sind keine teuren Dinge. Mein Ziel ist es immer, aus möglichst günstigem Material das möglichst Beste rauszuholen. Damit ich im richtigen Moment auch die richtigen Materialien zur Verfügung habe, hat sich mit der Zeit ein recht ausgeklügeltes Ordnungssystem in Ordnern, Laptop und Notizbüchern entwickelt. Vor allen Dingen mit Ordnern arbeite ich ausgesprochen gerne und hefte alles ab, was sich abheften lässt. Aber auch das muss natürlich jeder halten, wie es ihm am besten gefällt. Menschen, die nicht so gerne von Hand schreiben, wie ich, sehen wohl deutlich mehr Vorteile in der Arbeit mit dem Computer.

Arbeiten in der Werkstatt

Ich gehe üben bedeutet für mich: Ich packe in meinen Werkzeugkoffer mein Instrument und meine Noten. Und dann arbeite ich daran, meine Fähigkeiten zu verbessern, damit das Produkt – die Interpretation eines Werkes – am Ende ordentlich aussieht. Dabei nutze ich alle meine Ressourcen, die Sinn machen: Bücher und das Internet helfen (solange sie gut sortiert und schnell erreichbar sind), sich zu informieren und das ein oder andere noch mal nachzulesen zu Epoche und Komponist, Haltung, Sondergriffen, Atmung, Interpretation, Ausführung von Trillern, etc. pp. Tonaufnahmen mit dem Handy dienen der Kontrolle und Bleistift und Buntstifte liegen für Markierungen und zum notieren von Fragen bereit.

Das Ziel des Übens ist für mich aber nicht nur, dieses oder jenes Stück perfekt zu beherrschen, das eigentliche Ziel ist es, meine Fähigkeiten dahingehend zu verbessern, dass mir für spätere Projekte mehr Möglichkeiten offen stehen – weil ich nun schneller spielen kann, besser die Lautstärke einsetzen kann, mich mit einem neuen Stil beschäftigt habe und den nun nutzen kann, etc.. Ich habe also meine handwerklichen Fähigkeiten verbessert, um meine Vorstellungen noch genauer umsetzen zu können. Reine Kreativität ohne handwerkliche Fähigkeiten ist nichts. Viele, die mit Musik anfangen und davon träumen, berühmt zu werden, sehen das nicht. Sie glauben, wenn sie nur kreativ genug sind und die richtigen Instrumente und Programme haben, könnten sie es mit lang geübten Musikern aufnehmen. Aber das stimmt nur selten. Es reicht nicht, Instrumente oder andere Mittel zum Musikmachen zu haben, man muss sie auch beherrschen. Und dafür ist das Üben unerlässlich.

Viel lieber aber arbeite ich kreativ. Auch dafür benötige ich die Ressourcen meiner Werkstatt: Kreativität bedeutet nicht, dass man etwas komplett neu erfinden muss, oft verknüpft man auch alte Kenntnisse auf neue und außergewöhnliche Art miteinander. Und dafür brauche ich oft Informationen aus alten Skripten oder blättere noch mal in einem Buch aus meinem Regal. Für das Musizieren brauche ich Notenpapier und Stifte genauso wie ein Notenschreibprogramm am Laptop, mein Aufnahmegerät plus entsprechendes Programm zur Audiobearbeitung und Zugriff und Übersicht über meine Instrumente. Wer jetzt anfangen will mit Musik, der lasse sich sagen: Das alles habe ich nicht auf einmal gekauft. Einige Sachen sind mir billig oder sogar kostenlos zugeflogen, andere Sachen habe ich gekauft, als wirklich Bedarf da war und habe sie seitdem auch ausgiebig genutzt. In über zehn Jahren Musik machen hat sich einfach einiges angesammelt. Vieles davon hätte ich auch am Anfang gar nicht gebrauchen können, denn wie schon erwähnt, braucht es teilweise viel Zeit, um zu üben oder ein Arbeitssystem zu entwickeln, bis man einige Materialien überhaupt sinnvoll einsetzen kann.

Ich stelle mir sehr gerne einen Tischler vor, der einen großen Auftrag von einem Kunden bekommt. Der Kunde braucht eine Sonderanfertigung (in der Musik schafft man eigentlich nur Sonderanfertigungen, sonst würde es ja langweilig). Der Tischler nimmt die Idee und überlegt sich, wie man sie am besten praktisch umsetzen kann. Er prüft seine Materialien, welche er gebrauchen kann. Er trifft auf Probleme, die er so noch nicht hatte und findet praktikable Lösungen dafür. Dabei berät er sich auch mit seinen Kollegen und tauscht Ideen aus. Vielleicht überlegt er sich, ein neues, außergewöhnliches Material oder Werkzeug einzusetzen, dessen Umgang er erst wieder einüben muss oder sogar neu lernen muss.

Gelernte Tischler würden mir jetzt wahrscheinlich widersprechen, aber als Musikerin sieht die Arbeit in meiner „Werkstatt“ genau so aus. Und genau so habe ich sehr viel Spaß dran. Vielleicht findet sich ja noch jemand daran wieder oder kann diese Ideen einem Schüler an die Hand geben, der mit „Üben“ nicht zu begeistern ist.

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Bildquelle: https://pixabay.com/de/maschine-shop-werkzeuge-werkstatt-690190/ [20.09.2018]