Junge singt in Mikrophon

Von der Magie der Musikalität und unmusikalischen Menschen

Warum ich glaube, dass (fast) niemand unmusikalisch ist

Viele Menschen, insbesondere viele Erwachsene, behaupten von sich, sie seien nicht musikalisch. Daran glaube ich nicht. Und dafür habe ich gute Gründe.

musikalische Ziele

Es ist wichtig, zu klären, was man unter Musikalität versteht. Ist Musikalität erst dann vorhanden, wenn ein Schüler auf der Bühne einen sehr guten Musikvortrag abliefert? Oder schon, wenn eine Schülerin einen einfachen Rhythmus nachklopfen kann? Soll das Musizieren ein Hobby sein, eine Gelegenheitsaktivität oder muss es gleich ein Musikstudium sein?

Egal, wie viel oder wie wenig man musikalisch kann, viel wichtiger als die Begabung ist die Übung und die kann jeder Mensch anstreben.

Expertise und Begabung

Mädchen spielt Ukulele

Musikalität meint immer zwei Dinge in Verbindung: Expertise und Begabung. Es tellt sich die Frage, bin ich musikalisch, weil ich sehr viel geübt habe oder weil ich begabt bin? Begabung existiert bei vielen Menschen, sie kann sich aber nur in Verbindung mit Übung zeigen. Wer viel übt, kann ein*e gute*r Musiker*in werden. Auch ohne eine herausragende Begabung. Eine andere Sache ist es, ein Wunderkind oder Weltstar zu werden. Um diese musikalischen Fähigkeiten ausbilden zu können, müssen alle Faktoren unter besten Bedingungen aufeinander treffen.

Während man früher annahm, dass Musikprofis mit ca. 20 Jahren 10.000 Stunden geübt haben sollten, erklärt man heute Erfolge als eine Kombination aus Talent, Übung und weiteren Faktoren im Umfeld des Musizierenden und in seinen Eigenschaften/Fähigkeiten. [Q01]

Ein wichtiger Faktor, um die Zeit zu nutzen und möglichst viel Expertise sowie gute Bedingungen zum Erscheinen einer Begabung zu bieten, ist es, dass Kinder und Jugendliche so früh wie möglich für das Musizieren begeistert werden. Das heißt allerdings nicht, dass sich nicht auch ein später Einstieg im Erwachsenenalter nicht mehr lohnen würde. Dies kommt immer auf die individuellen Ziele an.

Da insgesamt nur wenige Menschen Profimusiker*innen werden, ist es nicht notwendig, Kinder zu möglichst viel Übezeit zu zwingen. Auch Sport, Naturwissenschaften, Handwerk und andere Hobbys können für Kinder eine große Bedeutung in ihrer Freizeit einnehmen und auch dort können sich Talente zeigen. Außerdem bietet sich Musik nicht nur als Berufsweg, sondern auch als Freizeitbeschäftigung bis ins hohe Alter an und kann Freude schenken ohne, dass eine besondere Expertise oder Begabung vorhanden ist.

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Neben dem Satz „Ich bin nicht musikalisch“ hört man oft den Satz „Ich bin nicht kreativ“. Dabei kann Kreativität durch einfache Methoden gefördert werden und jeder Mensch ist zu kreativen Leistungen fähig.

Kann man Musikalität testen?

Das spannende an Musikalität im Sinne einer Begabung ist, dass man sie nicht wirklich testen kann. Wenn Musikalität getestet wird, werden in der Regel musikalische Grundfertigkeiten getestet. Zum Beispiel, die Fähigkeit, einen Rhythmus zu wiederholen oder eine Melodie zu einem tonal sinnvollen Ende zu führen. Diese Fähigkeiten werden durch Übung stark beeinflusst, sie können erlernt werden. Dadurch hat ein Kind, dass viele Berührungspunkte mit Musik hat, bessere Chancen, in solch einem Test gut abzuschneiden.

Wirklich unmusikalisch?

Musikalität ist die Fähigkeit, Musik wahrzunehmen und zu musizieren. Um zu zeigen, dass jede*r musikalisch ist, werde ich drei Beispiele von angeblicher Unmusikalität aufzeigen.

Fall 1: Sich unmusikalisch verhalten

Wir machen eine Geräuschimprovisation in einer dritten Klasse. Jedes Kind sucht sich einen Klang aus, den es mit Gegenständen aus dem Klassenzimmer erzeugen kann und setzt diesen in der Improvisation ein. Ein Kind wählt einen Satz als Geräusch, den es immer wieder und aufdringlich laut in die Improvisation rein spricht. Das Kind verhält sich in dieser Situation unmusikalisch, aber nicht, weil es sich nicht musikalisch verhalten könnte, sondern weil es durch sein von der Gruppe abweichendes Verhalten Aufmerksamkeit erzeugen möchte.

Fall 2: Sich selbst unterschätzen

In einer Senior*innengruppe wird mehrstimmig gesungen und Gesang mit Percussion begleitet. Eine Seniorin, die mit Freude dazu ist und gut singen kann, erzählt voller Überzeugung, sie habe früher einmal Klavier gespielt, aber sie sei nicht musikalisch genug.

Fall 3: Die Musikalität wurde noch nicht herausgekitzelt

Ein Klavierschüler hatte bereits mehrere Jahre Unterricht. Er spielt rhythmisch sauber, hat eine gute Fingertechnik, doch der Klang bleibt mechanisch. So hat er es gelernt. Auf die Aufgabe hin, sich selbst zuzuhören und eine zum Stück passende Atmosphäre zu schaffen, entsteht sofort ein besserer Klang und eine natürliche Phrasengestaltung.

Was den Moment des Musizierens ausmacht

Figuren tanzen

Was ist nun mit diesen „unmusikalischen“ Menschen? Die Seniorin wird doch ganz sicher keine Profimusikerin mehr, ist das Musizieren dann nur noch für das soziale Erleben oder für die Verbesserung des Gedächtnisses da? Sollen Kinder und Jugendliche durch Musik die schulrelevanten Fertigkeiten verbessern und Gruppenaktivitäten erleben?

Natürlich ist das nicht der Sinn und Zweck des Musizierens mit Laien. Auch wenn wir als Anbieter unsere Ziele oft so beschreiben müssen, damit Kunden bereit sind zu zahlen oder Fördergelder bewilligt werden. Im Moment des Musizierens kann nur das Musizieren selbst der Zweck sein. Und dieses muss nicht virtuos sein, um seinen Wert zu erhalten. Es muss vor allem ernst gemeint sein.

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Musik machen als Selbstzweck? Unter welchen Bedingungen kann das Musizieren spielerisch sein? Wann ist etwas ein ernsthaftes Spiel und wo sind die Grenzen des Spielens? Ist Arbeit das Gegenteil von Spiel?

Ernst gemeintes Musizieren lässt Musik entstehen. Egal, ob es das dreijährige Kind ist, dass auf Töpfen trommelt oder der Harfenist, der sein Instrument virtuos bespielt: Wenn die Musik ernst gemeint ist und der oder die Musizierende Freude hat, kann sich die Magie entfalten.

Instrumentalunterricht für Kinder und Jugendliche ist manchmal ein schwieriger Ort für diese Magie. Für einige Schüler*innen ist der Lernraum vorberelastet („Meine Eltern wollen, dass ich hierher komme.“, „Immer muss ich üben.“, etc.). Wenn es aber möglich wird, die Ernsthaftigkeit und die intrinsische Motivation herauszukitzeln, dann zeigt sich wahre Musikalität und die Magie der Musik.


[Q01]: https://psycharchives.org/en/item/8b4f3020-f779-4697-839d-838bdbbdfae9 [Stand 09.10.2025]